Synopsen

RegE 12.4.2017 – Synopse Finanzierung, Sozialraum

Arbeitsfassung 23.8.2016 (akt. 7.9.2016) – Synopse Finanzierung, Sozialraum

Arbeitsfassung 7.6.2016 – Synopse Finanzierung, Sozialraum

 

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6 GEDANKEN ZU »FINANZIERUNG | SOZIALRAUM«

 

MATTHIAS SCHWAGER – 29. Oktober 2016

Hamburger Abendblatt vom 25.10.2016 zur SGB VIII Novelle: „In der Hamburger Sozialbehörde unterstützt man den Entwurf des Bundesfamilienministeriums. Es heißt, dass die Hilfen zur Erziehung nicht abgeschafft würden. Die zusätzliche Möglichkeit der Sozialraumhilfen würde die Ausgaben zudem auch nicht zurückfahren, sondern den Anstieg lediglich verlangsamen. Dies soll ein Signal an die Träger sein, die Sorge haben, auf dem milliardenschweren Markt Anteile zu verlieren. Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) jedenfalls sagt: „Ich fände es sehr schade, wenn die Reform im Bund scheitert.““

Das Zitat verweist auf ein Thema, dass den wahren Kern der Debatten ausmacht. Ich sehe hier aber eine Verwechslung von Ursache und Wirkung: Nicht die Träger erzeugen einen „milliardenschweren Markt“, sondern die Bedarfe von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien. Die SGB VIII Novelle steht daher umgekehrt unter dem Verdacht, Bedarfe umzudeuten in Nicht-Bedarfe oder mindestens Bedarfe geringerer Schwere, die wiederum eine geringere Qualität und Intensität in der sozialpädagogischen Bearbeitung rechtfertigen können.

Der Witz bei allem: Niemand hat bisher erhoben, wie viele Betroffene ihre Bedarfe bereits über sozialräumliche, niedrigschwellige Angebote abdecken, ohne die Jugendämter in Anspruch zu nehmen. Die Verantwortlichen unterstellen permanent, viele Fälle sind gar keine „echten“ Fälle, sondern nur … ja, was eigentlich? Es gibt bei aller Qualität in der Jugendhilfe nach wie vor viele Gründe, nicht zum Jugendamt zu gehen. Daher: Was wäre denn, wenn jetzt schon nur die „schweren“ Fälle im Jugendamt ankommen, ohne dass jemand was von den „leichten“ mitbekommt?

Vielleicht hat ja das BMFSFJ Daten erhoben, die wir alle nicht kennen. Vielleicht hat es einen ganz differenzierten Blick auf die Lebenslagen unserer Klient_innen, auf Armut, Einkommen im Niedriglohnsektor, Wohnungsnot, Gesundheit und Krankheit usw. Dann lasse ich mich gern überzeugen. Bisher höre / sehe ich von dieser Expertise nichts – warum wohl nicht?

 

GEORG HORCHER – 4. Oktober 2016

Ich hoffe nur, dass der Unfug nicht Realität wird. An Herrn Luthe gerichtet: Sie haben keinen Grund für Ihre Selbstbeweihräucherung. Die vorgeschlagenen Finanzierungsregelungen werden zu allem möglichen Führen, nicht aber zu besserer Qualität, nicht zur Kosteneindämmung oder gar Reduzierung sondern allenfalls zu einem riesigen bürokratischen Aufwand, der weder die Leistungsqualität noch die Steuerungsfähigkeit der Jugendämter verbessern wird. Wer glaubt, dass Sozialraumorientierung der Schlüssel zur Lösung aller Probleme ist irrt. Sozialraumorientierung ist ein Element einer wirksamen Jugendhilfe aber nicht alleine, sondern mit und neben anderen. Mit der Einführung des SGB II und in der Folge der Zerschlagung der etablierten Strukturen der Jugendberufshilfe durch Ausschreibungen und Kostendruck hat die Jugedhilfe mehr als schlechte Erfahrungen gemacht. Auch Ihr Vergleich mit dem Gesundheitssektor ist nicht nachvollziehbar. Gekennzeichnet durch komplettes Steuerungsversagen des Staates und der Gesundheitspolitik mit der Folge deutlicher Leistungseinschränkungen in den letzten Jahrzehnten bei höherer Eigenleistung der Versicherten und Schonung der Unternehmen. Was die Jugendhilfe vom Gesundheitssektor lernen kann und soll, erschließt sich mir nicht. Nur weil Ihnen die Jugendhilfe ein Rätsel ist, können Sie einen solchen Vorschlag gutheißen und befördern. Würden Sie die Jugendhilfe verstehen, müssten Sie sich vehement gegen ihre eigenen und die vorgeschlagenen und in die Diskussion gebrachtenFianzierungsvorschläge wenden. Wer aber die Jugedhilfe nicht versteht, sollte sich mit Vorschlägen zurückhalten. Sie machen sich zum Totengräber einer Jugendhilfe, die nicht unter ungenügenden rechtlichen Vorgaben leidet sondern unter einer mangelnden Finanzausstattung. Die Kostensteigerungen in den erzieherischen Hilfen sind keine Folge misslingender Jugendhilfe oder des Raubrittertums der freien Träger, sie sind eine unmittelbare Folge der Verschlechterung der Lebensituation immer größerer Bevölkerungsgruppen. Anstatt Vorschläge zum weiteren Abbau des Sozialstaates zu machen, sollten Sie sich in Ihrer privilegierten Stellung als Hochschullehrer den Kopf darüber zerbrechen wie der Sozialstaat gestärkt werden kann. Dazu kann Sozialraumorientierung oder besser die gute alte Gemeinwesenarbeit einen Beitrag leisten, dazu sind aber nicht diese verqueren Finanzierungsvorschläge erforderlich, sondern schlicht und einfach eine Finanzausstattung der Kommunen, die die Finanzierung dieser Arbeit wirkungsvoll erlaubt.

 

PROF. DR. DR. REINHARD WABNITZ – 14. September 2016

§ 76c Wahl der Finanzierungsart

Dieser Regelungsvorschlag („Im Rahmen seiner Gesamt- und Planungsverantwortung (§ 79) entscheidet der Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe nach pflichtgemäßem Ermessen über die Wahl der Finanzierungsart….“) begegnet allergrößten Bedenken und stellt gleichsam eine „Kriegserklärung“ gegenüber dem Bereich der Träger der freien Jugendhilfe dar, deren Rechte dadurch weitgehend ausgehebelt würden. Abgesehen vom Bereich der Tageseinrichtungen für Kinder, der aufgrund von § 74a dem Landesrecht überantwortet worden ist, sollte es bei der bewährten geltenden Rechtslage bleiben:

– Rechtsanspruchsgesicherte Leistungen und Entgelte im kinder- und jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnis sind ausnahmslos auf der Grundlage von Vereinbarungen nach den bisherigen §§ 77, 78a ff zu gewähren und mit den Trägern der freien Jugendhilfe auszuhandeln. Im letztgenannten Bereich entscheidet gegebenenfalls die Schiedsstelle nach § 78g bzw. die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

– Lediglich zuwendungsfinanzierte Leistungen insbesondere nach den §§ 11 ff werden von Seiten des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage von § 74 Abs. 3 gewährt.

Würde der Regelungsvorschlag des BMFSFJ Gesetzeskraft erlangen, könnte der Träger der öffentlichen Jugendhilfe frei entscheiden, ob er einseitig Leistungsbeschreibungen „diktiert“ und über Bescheid Leistungen gleichsam „verordnet“ oder ob er darüber mit den Trägern der freien Jugendhilfe Einvernehmen erzielen muss. Das moderne, auf Augenhöhe zwischen den Trägern der freien und der öffentlichen Jugendhilfe konzipierte Aushandlungsverfahren würde durch ein einseitig-hoheitliches Bescheidungsverfahren ersetzt. An die Stelle von mit den Trägern der freien Jugendhilfe ausgehandelten Entgelten, die darauf einen Rechtsanspruch haben, träte gegebenenfalls durchgängig die ausgesprochen „schwache“ Regelung des § 74 Abs. 3, wonach der Träger der öffentlichen Jugendhilfe über die Art und Höhe der Zuwendung nach pflichtgemäßem Ermessen im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel entscheidet – also nach „Kassenlage“. Dies bedeutete im Bereich der bisherigen Entgeltfinanzierung, dass es zu einem nicht hinnehmbaren Rückschritt in die Zeit vor 1999 käme – als die entsprechende Neuregelung nach den §§ 78a ff in Kraft getreten war.

Werden bei Hilfe zur Erziehung und verwandten Leistungen in den einzelnen Ländern oder sogar Jugendamtsbezirken unterschiedliche Finanzierungsarten gewählt – mit unterschiedlichen finanziellen Auswirkungen, dürfte es auch zu kaum überwindbaren Problemen mit Blick auf die Kostenerstattung zwischen verschiedenen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe mit Blick auf ein und dieselbe Leistung kommen!

§ 78b Voraussetzungen für die Übernahme des Leistungsentgelts

Die Regelung des Abs. 2 begegnet ebenfalls allergrößten Bedenken („Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe kann mit denjenigen Trägern Vereinbarungen abschließen, die unter Berücksichtigung der Grundsätze der Qualität, Kontinuität, Orientierung an sozialräumlichen Gestaltungsvorgaben, Zugänglichkeit, Zusammenarbeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erbringung der Leistung geeignet sind.“ …). Aufgrund einer solchen kann-Regelung können Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach Belieben aus dem sozialleistungsrechtlichen Dreiecksverhältnis „aussteigen“ und die Finanzierung quasi in das kommunale Beschaffungswesen verlagern.

Dies alles bedeutet nichts anderes als die Übernahme von „Pörksen pur“ in das SGB VIII, nachdem alle bisherigen Versuche der Beschränkung der Leistungsanbieter (nicht nur in Hamburg) auf einen exklusiven Kreis vor den Verwaltungsgerichten wegen Verstoßes u. a. gegen Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsausübungsfreiheit) – betreffend alle nicht berücksichtigten Träger der freien Jugendhilfe – gescheitert sind. Auch dies ist eine „Kriegserklärung“ gegen die Träger der freien Jugendhilfe insgesamt, gegen die Gebote von Pluralität und ggf. Subsidiarität gemäß §§ 3 und 4 und gegen das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten nach § 5 SGB VIII.

Entsprechendes gilt für den Regelungsvorschlag in Abs. 4.

 

SYBILLE NONNINGER – 2. September 2016

Danke für den Hinweis auf den Städtetag. Die Eingliederung aller jungen Menschen mit einer Behinderung ist sicher nicht kostenneutral zu haben. Insofern teile ich die Einschätzung des Städtetags im Prinzip. Jenseits der Eingliederungsfrage sind die kostenbezogenen Warnungen mit Verweis auf §§ 27- 29 des Entwurfs für mich aber nicht schlüssig, weil die vorgesehenen Regelungen bei Licht betrachtet (das heißt in Kombination mit den vorgesehenen Verfahrensbestimmungen u.a. in §§ 36ff) für die bisher Anspruchsberechtigten eine deutlich erkennbare Einschränkung des Anspruchs bringen.

 

MATTHIAS SCHWAGER – 1. September 2016

Der Deutsche Städtetag schätzt ein bzw. befürchtet: „Wir gehen davon aus, dass diese Ausweitung der Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe große Ausgabensteigerungen bei den Hilfen zur Erziehung, bzw. bei den neuen Teilhabeleistungen und bei den Leistungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen bedeuten. Diese werden im weiteren Gesetzgebungsverfahren kritisch beleuchtet und quantifiziert werden.“ (Quelle: „Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) – Übersendung eines nicht-autorisierten Arbeitsentwurfs“ vom 09.08.2016)

 

SYBILLE NONNINGER – 1. September 2016

Danke für die Plattform!!

Ohne in der Kürze der Zeit die Tragweite der Regelung des § 76c voll ausloten zu können, muss doch schon jetzt gesagt werden, dass die Wahl der Finanzierungsart nicht völlig freigestellt werden kann. Soweit der öffentliche Träger den BürgerInnen im Sinne des leistungsrechtlichen Dreiecks verpflichtet ist, kann er seine daraus erwachsende auch finanzielle Verantwortung nicht mit Rückgriff auf das Subsidiaritätsprinzip und damit nicht auf den freien Träger abwälzen.

Für die länderübergreifende Mobilität würden aus der prinzipiellen Wahlmöglichkeit schwierige Bedingungen erwachsen und die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse wäre strukturell gefährdet.

§ 78b Abs. 2 weicht von dem bisherigen impliziten Rechtsanspruch der Träger auf Vereinbarung ab und Abs. 4 führt offenbar die Bedarfsabhängigkeit in die Vereinbarungen ein. Das war bisher strikt verboten, mit dem Argument, dass es ein wettbewerbsfremdes Element darstelle. Abs. 2 und 4 können als Indiz dafür genommen werden, dass der gesamte Reglungsbestand zu den Vereinbarungen neu gefasst werden müsste. In weiten Bereichen in der Jugendhilfe gibt es keinen Markt und kann es auch keinen Markt geben, weil es kein freies Spiel von Angebot und Nachfrage geben kann, weil differenzierte Angebote nötig sind, weil unvorhergesehener Bedarf abzudecken ist und weil auch ein Kind im dünnbesiedelten ländlichen Raum bedarfsgerecht versorgt werden muss. Eine nur punktuelle Änderung, wie sie jetzt offenbar vorgenommen werden soll, erhöht die Widersprüche innerhalb der Vereinbarungsreglungen und erschwert es der Praxis, zu einer fach- und bedarfsgerechten und zugleich wirtschaftlichen Lösung in der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und freien Trägern zu kommen.

In der aktuell vorliegenden Form sind jedenfalls erhebliche Verwerfungen und Friktionen für die Praxis vorauszusehen, die letztlich auch erhebliche Folgekosten mit sich bringen werden. .

 

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