Synopsen

E 23.8.2016_(akt. 16.9.2016) Synopse Rechtsanspruch Kind-Eltern

E 7.6.2016 Synopse Rechtsanspruch Kind-Eltern

Gesetzesbegründungen

E 23.8.2016 Begründung Rechtsanspruch Kind – Eltern

Stellungnahmen

 

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6 GEDANKEN ZU »RECHTSANSPRUCH KIND – ELTERN«

 

MATTHIAS SCHWAGER – 9. September 2016

Die LAG Erziehungsberatung Hamburg weist nochmal auf eine Anspruchsvoraussetzung für den Zugang zu Hilfen (dann Leistungen) hin: „Wenn die Voraussetzung für die Hilfegewährung nun an den Kindern festgemacht, also individualisiert wird, könnte dies dazu führen, dass (gerade wenn die Notwendigkeit der Hilfe bezweifelt würde) zunächst ein großer Aufwand zur Diagnose von Entwicklungs-Defiziten des Kindes betrieben werden müsste. Und zwar nicht, weil dies zur Gestaltung der Hilfe fachlich geboten wäre, sondern vor allem um die Hilfegewährung zu rechtfertigen! (…) Die vorgesehene Regelung, die Hilfegewährung an Entwicklungsdefizite der Kinder und Jugendlichen zu knüpfen, baut also für ratsuchende Eltern zusätzliche Hürden auf und erschwert eine niedrigschwellige Unterstützung von Eltern, deren Kinder keine Behinderung aufweisen, aber einen besonderen erzieherischen Bedarf haben.“ – Quelle: Stellungnahme zur geplanten Reform des SGB VIII vom 08.09.2016

Andere Fachkolleg_innen kritisieren und vertiefen diese Bewertung mit Hinweis auf Diagnostik-Manuale und IT gestützte Systeme in den Jugendämtern. Haben die Mediziner und IT-Firmen nun die Soziale Arbeit als neuen Markt entdeckt und zögern nicht, sich auf diesem Markt pseudo-fachlich und pseudo-effizient zu etablieren? Gehen ihnen die Verantwortlichen in Bund, Ländern und Kommunen derart auf den Leim? Sind die omnipotenten „Heilsversprechen“ von Medizin und IT so verführerisch, weil die eigene Hilflosigkeit angesichts komplexer Aufgaben noch besser abgespalten werden kann?

 

PROF. DR. MICHAEL BÖWER – 9. September 2016

Aus meinem Schreiben an die zust. Staatssekretärin:
„Junge Menschen, erstens, haben als Stand wissenschaftlichen Wissens und professioneller Haltung unseres Faches einen Anspruch darauf, als eigenständige Persönlichkeiten (Subjekte) gesehen zu werden und Kinder- und Jugendhilfe zur Entwicklung ihrer Identität zu erfahren. Dies gelingt, auf eine Formel gebracht, aber nur, indem jedwede gesetzgeberische Initiative >Erziehungstatsache< beachtet – alle Kinder und Jugendlichen brauchen Befähigung und Hilfe durch „Sozialisationsagenten“: in offenen Häusern für alle Heranwachsenden und Familien im Stadtteil, durch Dialog mit Eltern, Familien und Nachbarschaften, in Bildung durch Erziehung – gleich, ob sie 2, 11, 18 oder 23 Jahre jung sind; egal, in welcher Kommune unter welcher Haushaltssituation auch immer sie leben und aufwachsen. Erziehung ist auch semantisch nicht durch „Entwicklung“ oder „Begleitung“ ausgehend von Schwierigkeiten, die jemand jemandem „macht“, ersetzbar. Ein moderner Sozialstaat bezieht – im Ausdruck des geltenden SGB VIII – alle, d.h. gerade auch Eltern und Erziehungsberechtigte aktiv und nicht erst nachrangig, wie es im Gesetzentwurf den Anschein entwickelt, mit ein. Dies kennzeichnet moderne Jugendhilfe und muss zentrale Beachtung finden. Nicht nur „starke Kinder“, so die Entwurfssemantik, nein alle, auch schwache, zögerliche, verhaltene, traumatisierte, resiliente, unscheinbare und geschlagene Kinder sind und bleiben Kinder ihrer Eltern; sie erwachsen ihrem Umfeld, nicht extragalaktisch.

Zweitens: Erziehung ist nicht planbar. Diese alte Erkenntnis gebietet Nacharbeit im Entwurf. Moderne, gute Kinder- und Jugendhilfe heißt, Hilfeprozesse und Bedarfe in diagnostischem Fallverstehen gemeinsam auszuhandeln, da dies die Basis für den Erfolg sozialpädagogischen Handelns ist. Der Entwurf erweckt durch Aufnahme zahlreicher Unterparagraphen den Eindruck, als sei dies einseitig verordnungsfähig via „Leistungsplanung“ (statt Hilfeplanung), „Bedarfsermittlung“ und „standardisierte(n) Arbeitsmittel(n) (Instrumente)“. Hier wie auch bei Auslandsmaßnahmen und Volljährigkeit wird eine statische Planbarkeitsmaxime angelegt, die dem subjektiven Bedarf junger Menschen, die man qua Titel der Gesetzgebung „stärken“ will, entgegenläuft. Dies darf nicht bloß „Schauseite“ (Kühl) der Novelle sein.“

Als Fachvertreter der Kinder- und Jugendhilfe und Mitglied in einschlägigen Fachverbänden denke ich: Kinder- und Jugendhilfe in ihrer Fachlichkeit, Inklusion und soziale Teilhabe sind so wichtig, dass es Sinn macht, in der langen Linie der Fachlichkeit der Gesetzgebung als Ausdruck der Einheit der Jugendhilfe an fachlichen Qualitätsstandards und –diskursen des Feldes anzusetzen, diese fortzuschreiben und weiter befördern.

 

MATTHIAS SCHWAGER – 7. September 2016

Hinsichtlich des Rechtsanspruchs auf Leistungen nach §§ 27ff SGB VIII weist Prof. Münder auf Folgendes hin: „… dass Auftraggeber gegenüber den Leistungserbringern nicht der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist, sondern die jeweils leistungsberechtigten Bürgerinnen und Bürger. Bedeutung hat dies etwa für die Diskussion, ob Vergaberecht / Wettbewerbsrecht zur Anwendung kommt: dies kommt nur zur Anwendung, wenn die öffentliche Hand (hier als Träger der öffentlichen Jugendhilfe) Auftraggeber ist – im jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnis ist sie dies (…) nicht.“ – Quelle: „Vereinbarungen für ambulante Erziehungshilfen – Qualität entsteht im Dialog“ (AFET Bundesverband für Erziehungshilfe e.V., Veröffentlichung 75/2016, S. 23)

Im Umkehrschluss bedeutet das für die aktuelle SGB VIII Novelle: Der Rechtsanspruch der leistungsberechtigten Bürgerinnen und Bürger muss fallen, damit Vergaberecht / Wettbewerbsrecht zur Anwendung kommen kann!

 

SYBILLE NONNINGER – 1. September 2016

Danke für dei Plattform, Danke für die Kommentare!

Grundsätzlich finde ich es gut, dass die Kinder jetzt einen eigenständigen Rechtsanspruch haben. Das darf aber nicht zur Minderung des Rechtsanpruchs der Eltern und in der Konsequenz zur Abkehr von der Förderung der Familie führen. Insofern ist es zu begrüßen, dass Kinder jetzt auch wieder einen Anpruch auf Leistungen zur Erziehung haben sollen. Ihr Anspruch muss aber auch dann bestehen, wenn eine ihrem Wohl entsprechende Erziehung nicht gewöhrleistet ist. Damit die Förderung der Familie im Blick bleiben kann, wäre zudem eine bessere Verschränkung von § 27 und § 29 und eine inhaltliche Reformulierung in § 29 nötig. Immer wenn das Kind einen Anspruch nach § 27 hat, sollten auch die Eltern einen Anspruch auf Unterstützung für die Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung haben. Dieser sollte darüber hinaus auch dann bestehen, wenn die Eltern einen entsprechenden Unterstützungsbedarf für sich geltend machen und entsprechende Leistungen im Hinblick auf das Wohl des Kindes notwendig und geeignet sind.

Zu § 29neu

Die Überschrift sollte lauten: „Hilfe zur Wahrnehmung der Erziehungsverantwortung“

Der Hilfebegriff ist keineswegs gleichbedeutend mit der Einführung einer Machtposition, ebenso wenig garntiert der Leistungsbegriff die Augenhöhe, insbesondere dann nicht, wenn die individuell bedarfsgerechte Hilfe über die Verfahrensbestimmungen zu einer standardisierten Leistung degeneriert. Die Reduzierung auf die Kompetenzförderung bedeutet eine eklatante Reduzierung des Gegenstandsbereichs der Hilfe auf individuelles Können unter Absehung von hinderlichen Ausgangsbedingungen. Außerdem impliziert der Kompetenzbegriff die Rückkehr zu einer defizitorientierten Philosophie( mangelnde Kompetenz) mit allen negativen Folgen, die das für einen wirksamen Kindesschutz hat (wie wir aus der Zeit vor dem KJHG wissen).

Abzulehnen- und angesichts der seit Jahren anerkannten Normalisierung des Jugendhilfebedarfs auch völlig unverständlich- ist die Bedingung, dass Eltern nur Hilfe erhalten, wenn auch die Kinder einen Hilfeanspruch haben (in der jetzt vorgeschlagenen Fassung de facto sogar nur, wenn sie eine Entwicklungsstörung aufweisen oder in der Teilhabe eingeschränkt sind.)

Absatz 2 ist eine Selbstverständlichkeit, die grundrechtlich geboten ist.

 

REINHARD ROTTMANN – 30. August 2016

Ich würde das eher entspannt sehen. Die Begriffe „geeignet und notwendig“ waren ja schon bisher Grundlage unsere Handelns. Und kein Jugendamt, das sich ernst nimmt, leistet Hilfen, die weniger oder mehr wären. Und der örtliche Kinder- und Jugendhilfeträger ist nicht nur verpflichtet, sondern auch berechtigt, den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum über denn im Einzelfall bestehenden Bedarf sowie sein Ermessen im Hinblick auf die geeigneten und notwendigen Entwicklungs- und Teilhabeleistungen auszuschöpfen.

Was die Ausführungen zu den Vormundschaften anbelangt (nicht Pflegschaften, die waren auch schon bisher nicht Adressat der Hilfen) -Seite 44 zweiter Absatz der Begründung zur Arbeitsfassung- kann man nur schmunzeln. Das war doch in der Praxis nie ein Problem.

Andererseits eröffnet man nun auch dem Personenkreis der Vormünder nun eigene Rechtsansprüche.

Der neue § 29 ist überschrieben mit „Leistungen zu Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern“ meint jedoch in seinem Text auch Erziehungsberechtigte, also Vormünder*innen.

Die Begründung negiert weiter völlig, dass bisher auch teilsorgeberechtigete Eltern Ziel der Hilfe waren und sind. Es werden diese Strickfehler sein, die uns in der Praxis wieder einmal zu den Gerichten treiben, um diese handwerklichen Fehler auszumerzen; schade

 

MATTHIAS SCHWAGER  – 26. August 2016

Ich habe diese „tollen“ Satz gefunden und glaube, der / die Autor/in hat sich voll verheddert mit all den Neins und Keins, die dieser Novelle zugrunde liegen: „Der Anspruch nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 auf „geeignete und notwendige“ entsteht bereits überhaupt nur, wenn keine andere, weniger intensive Maßnahme nach dem SGB VIII den jeweiligen Bedarf im Hinblick auf das Wohl des Kindes oder Jugendlichen nicht zu decken vermag.“ (Seite 45 der Begründung zur Arbeitsfassung). – Gemeint ist auf Deutsch: Im Zweifelsfall IMMER die billigste Lösung! Danke, Frau Schwesig, genau das ist mit Nachhaltigkeit nicht gemeint.

 

 

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