Synopsen

RegE 12.4.2017 – Synopse Pflegekinderhilfe

Arbeitsfassung 23.8.2016 – Synopse Pflegekinderhilfe

Arbeitsfassung 7.6.2016 – Synopse Pflegekinderhilfe

 

Stellungnahmen

 

Diskutieren Sie mit! Wir laden Sie herzlich zum fachlichen Austausch zum Thema Pflegekinderhilfe auf dieser Seite ein.

Ich bin damit einverstanden, dass das DIJuF eV meine angegebenen personenbezogenen Daten zum Zweck der Nutzung des Forums speichert und verwendet. Mit Absenden meines Kommentars stimme ich den Nutzungsbedingungen zu.

 

 

14 GEDANKEN ZU »PFLEGEKINDERHILFE«

 

ANJA HACKBARTH – 31. Oktober 2016

Zumeist sind zentrale Dingebereits genannt.
ABER, bitte bedenken:
– wer Bowlby nennt, sollte ihn auch kennen – Exploration in unsicherer Bindung zu erzwingen funktioniert nicht. Monatliche Kontakte auf Biegen und Brechen sind doch Quatsch.

  • Es muss mehr differenziert werden. Jedes Kind ist anders, jede Familie ist anders. Für jedes Kind muss die passende Lösung gefunden werden. In einem solch hochsensiblen Geflecht ist zentral: Ein Kind muss sich zuhause fühlen dürfen. Wer häufige Umgangskontakte wünscht und die Bindung zur Herkunftsfamilie in der Pflegestelle erzeugen möchte (oder aufrecht erhalten möchte) muss auf professionelle Betreuungsformen zurückgreifen. Dies kann nicht von einer Pflegefamilie abgedeckt werden. Dann muss man Erziehungsstellen ausbauen im Sinne des französischen Modells oder man stärkt familienanaloge Heimformen. Hier kann der Spagat von Nähe und Distanz umfassend begleitet werden.
  • Es funktioniert nicht jedes Kind (zugunsten der leiblichen Eltern) in Warteposition zu halten in der Hoffnung, es irgendwann vielleicht eventuell rückführen zu können. Wenn Eltern schwerst abhängig sind, wenn Kinder halb tot geschlagen wurden oder so massive Schädigungen erlitten haben, dass von einer dauerhaften Beeinträchtigung auszugehen ist – dann sollte eine klare Entscheidung getroffen werden, dass die Kinder in einem neuen Zuhause ankommen dürfen!- unabhängig davon, in welchem Setting dieses geschaffen wird.
  • Es müsste in eine Gesetzesschrift eine zeitliche Limmitierung hineingenommen werden. Kleinkinder können doch nicht ernsthaft von der Geburt bis zum 2. Lebensjahr bei Pflegeeltern untergebracht werden und dann spricht man von Rückführung… Wohin denn zurück? Es gibt zuviele Kinder, die durch die Jugendhilfe an sich schwerer traumatisiert werden als durch ihre leibliche Familie! Es gilt eine klare Perspektive zeitnah auszuarbeiten.
  • Für eine Auseinandersetzung mit der Herkunft reichen 2-3 Besuchskontakte pro Jahr und die Möglichkeit auf Nachfrage des Kindes intensiv in die Biographiearbeit einzusteigen. Hierfür bräuchte es eine externe Stelle. Diese müsste als Mittler zwischen Kind und Behörde/Pflegeeltern für das Kind Akteneinsicht haben und mit dem Kind zusammen alle offenen Fragen klären. Bevor vom Kind aus gefragt wird, sollte man das Kind in Ruhe lassen.
  • Es ist ja nett immer auf die grundsätzliche Chance der Rückkehr in die Herkunftsfamilie zu verweisen – in der Praxis passiert das eher selten – die Kinder werden ja nicht ohne Grund in Obhut genommen … Es hat aber einen Grund, warum Pflegekinder als potentiell gefährdet gelten ihre Kinder nicht versorgen zu können und warum immer weniger Pflegeeltern diesem Ehrenamt nachkommen wollen…
  • Zudem: Es muss möglich sein als Pflegekind oder Vormund Jugendamtsmitarbeiter für Fehlentscheidungen haftbar zu machen. Es ist Mode geworden junge, Bachelorabsolventen in den ASD einzustellen und ihnen weitreichende Kompetenzen zu verleihen. Dabei scheinen selbst für Aussenstehende viele Entscheidungen absurd bis willkürlich. Aus sozialpädagogischer Sicht fachlich absolut ungenügend. Hier kann aber reihenweise nachfragebedürftig entschieden werden – wenn zuviel schief läuft werden Mitarbeiter eben ausgetauscht, verantwortlich für massive Schädigungen eines Kindes kann keiner gemacht werden – selbst dann nicht, wenn Kinder gegen jeden fachlichen Standart in Obhut genommen oder aus Familien/Pflegefamilien herausgerissen werden oder wenn Kinder seitens des ASD unter zweijährig 6-12 mal umplaziert werden (Fallakten liegen vor) und mit 18 Jahren über 37 Maßnahmen vorweisen können!!!

 

MATTHIAS SCHWAGER – 28. Oktober 2016

Klar, der Kontakt zur Herkunftsfamilie sollte immer realistisch geprüft werden. Praktisch braucht das aber eine intensive Vorbereitung, vor allem wenn Herkunftseltern stark belastet sind. Und es braucht eine professionelle Begleitung des Kindes. Beide Aufträge sind aus meiner Sicht nicht klar geregelt:

  • die Familiengerichte setzen einen geschulten Umgangspfleger (m/w) nur selten ein
  • die Jugendämter sind im Grunde für die Umgangsbegleitung nicht zuständig (beauftragen es dennoch und vielleicht auch aus der Sorge heraus, das FG schickt jemanden, der unfähig ist)
  • die Vormünder sind oft überlastet und schaffen es nicht, auch noch die Umgangsbegleitung zu leisten
  • die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (m/w) fangen einen Teil der seelischen Not der Kinder auf, können Umgänge und das Setting des Umgangs aber kaum beeinflussen
  • Erziehungsberatungsstellen sind überlastet und bieten Umgangsbegleitung an, wenn die Familie gut kooperieren kann, in die Beratungsstelle kommt, alle Termine einhält usw. (wie oft klappt das?)
  • Pflegeeltern können manches leisten, wenn Herkunftseltern offen sind; eine Umgangsbegleitung bei hoch eskalierten oder hoch belasteten Systemen ist aber eine Überforderung

Ich deute hier nur an, was im Kern knallharte Themen sind. Wer selbst mal Umgangspfleger war, weiß auch, wie viel Pädagogik und Psychologie bei Gericht vorhanden ist bzw. finanziert wird … Modelle, wie hocheskalierte Familienkonflikte abgebaut werden können, sind theoretisch da, aber wie oft gibt es dafür einen echten Auftrag samt fachlichem Rahmen und samt Finanzierung. Es ist nämlich verdammt viel mühsame Arbeit ohne konkrete Erfolgsprognose.

Wir sollten daher ehrlich sein: Am Ende baden die Kinder und ihre Pflegeeltern einen großen Teil der Problematik im Alltag aus, indem sie die Symptome aushalten. Umgangskontakte allein an der Quantität fest zu machen, ohne sich ernsthaft für die Qualität zu engagieren, halte ich für fachlich fragwürdig. Kinder brauchen Kontakt zu ihren leiblichen Eltern, mindestens den inneren Kontakt durch positive Bilder und Narrative, besser den realen Kontakt. Wenn dieser aber nur den narzisstischen Bedürfnissen der Herkunftseltern dient, setzt sich der Missbrauch fort.

 

MANFRED JANNICKE – 5. Oktober 2016

Ich muß mal ein bißchen Wasser in den Wein der Kommentare giessen, die überwiegend (die unstrittig bestehenden) Nachteile des „Befristungsdogmas“ kritisieren. Vorab jedoch: Allen Hinweisen sei zugestimmt, auf die Bedürfnisse der Kinder nach einer sicheren Situation, wo sie verläßlich sein und sich entwickeln können, ohne daß dies halbjährlich von einem von was auch immer geleiteten Jugendamt in Frage gestellt werden kann.

Beim Thema Besuchskontakte aber kam es mir dann doch etwas hoch: Wir haben den grundgesetzlich verankerten Vorrang von Ehe und Familie zu beachten. Aber auch fernab dieser juristischen Betrachtungsweise haben wir vor allem zu beachten, daß jedes Pflegekind, sei es auch noch so früh in die Pflegefamilie gekommen und noch so traumatisiert, sich im Verlaufe des Lebens mit den eigenen Ursprüngen auseinandersetzen muß. Sinnvollerweise soltte das nicht auf die Zeit nach der Pflegeerziehung verlegt werden. Sondern das Kind sollte meiner Ansicht nach sich alters- und belastungsangemessen auch während der jungen Jahre bereits damit auseinandersetzen. Es geht nämlich zuallererst um diese kindlichen Bedürfnisse, und zwar on the long run, lebenslang, keineswegs nur so lange, bis die Zeit bei der Pflegefamilie endet. Schärfer formuliert: Es hat zuerst um die kindlichen Bedürfnisse zu gehen, nicht zuerst um die der Pflegefamilie. So verständlich der Wunsch ist, sich nicht beständig immer wieder von den Ursprungsfamilien aufstören lassen zu müssen – er hat hintan zu stehen.

Anders ausgedrückt: Ausser in Fällen von strafrechtlicher Relevanz sollte ein Kind etwa monatlich Kontakt zu seinen Ursprungseltern haben (dürfen, wenn gewünscht), soweit vorhanden. Nur dann wird es sich im Laufe des Aufwachsens mit seiner spezifischen biographischen Eigenheit ganzheitlich auseinandersetzen können, wie auch müssen. Damit es nach der Zeit bei Pflegemama und -papa sich immer noch sicher fühlen kann. Denn das braucht es auch, nicht nur ein sicheres Heim!

Dem stände eine Ausrichtung allein an dem konzeptionellen Begriff „Bindung“ entgegen, denn wer seinen Bowlby vollständig gelesen und verstanden hat, der weiß, daß zur Bindung immer auch die „Exploration“ gehört, also die Gegenseite, das Sich-Einlassen auf das Unsichere, Neue, was man auch braucht um konflikttolerant durchs Leben gehen zu können. Soweit erst einmal, vielleicht komme ich noch dazu, mich zur rechtlichen Gestalt der Erziehungswohngruppen zu äußern.

 

FRANK POPP – 26. Oktober 2016

Gerade wer den Umgangskontakten einen hohen Stellenwert zuschreibt sollte daran interessiert sein die Perspektive möglichst frühzeitig zu klären. Dort, wo die Perspektive klar ist, verlaufen Umgangskontakte besser und stressfreier für die Kinder.

Bei einem Pflegekind muss beim Umgang aber immer der Einzelfall berücksichtigt werden. Ob das Pflegekind selbst Umgang will oder nicht spielt in der Realität kaum eine Rolle – obwohl es eigentlich ein Kindsrecht ist (Kind hat Recht auf Umgang, Eltern sind berechtigt und verpflichtet). Jüngeren Kindern spricht man ein „Recht“ auf den eigenen Willen grundsätzlich ab, denn wenn diese sich nicht „für Umgang äußern“ wird dies in der Regel ignoriert oder uminterpretiert. Wer Belastungen für das Pflegekind vermeiden will muss genau hinschauen. Das ist in der Praxis sehr (zeit)aufwendig. Einfacher ist es den „monatlichen Kontakt“ umzusetzen und als Grundlage für alle zu nehmen.

[…] Ein Kind reagiert nach Umgang aus Sicht der Pflegeeltern belastet. Woran könnte es liegen?

Dormativ erwartbare Irritationen des Kindes werden von den Pflegeeltern überbewertet.

  • Das Kind findet bei den Pflegeltern noch keine emotionale Sicherheit und agiert seine Verunsicherung daher aus.
  • Die Herkunftseltern sind zu einer kindgemäßen Gestaltung des Umgangs nicht in der Lage und belasten/ gefährden das Kind beim Umgang
  • Der Umgang aktualisiert beim Kind und/oder anderen Beteiligten Unsicherheiten hinsichtlich der Zukunft
  • Nach Gewalt in der Vorgeschichte triggert der Umgang posttraumatische Belastungssymptome

Rückführung an sich kann kaum als Erfolgskriterium gesehen werden

Deutlich höhere Rückführungsquoten im angloamerikanischen Raum gehen mit hohen Raten an Kindern einher, die erneut Gefährdung erfahren (20-30%) oder die später erneut in Pflege kommen (30-40%)

[…] Lambeck schließt ihre Ausführungen mit einer Empfehlung, die wir aus 20-jähriger Erfahrung mit vernachlässigten, mißhandelten und mißbrauchten Pflegekindern voll bestätigen können:

“Der Körper hat sein eigenes Gedächtnis, woran auch eine noch so nette und fachlich kompetente Begleitung von Besuchskontakten nichts ändert und ändern kann. Zum Zeitpunkt der Pubertät, wenn die Kinder sich mit ihrer Herkunftsfamilie auseinandersetzen wollen und müssen, und wenn sie Kontakt zu ihrer Ursprungsfamilie wollen, sollte er ihnen ermöglicht werden. Bis dahin aber sollte ihnen die Chance gegeben werden, ein Stück ihrer Kindheit in der Ruhe verbringen zu dürfen, die nötig ist, den Teufelskreis zwischen Streßerleben und dem organisierten Streß im Gehirn eventuell durchbrechen zu können.“

Je mehr man den seelisch und hirnorganisch verletzten Pflegekindern am Anfang ungestörte Liebe, Ruhe und Stetigkeit bietet, desto eher kann man ihnen die Begegnung mit der traumatisierenden Herkunftsfamilie zumuten – aber oft muß man mehrere Jahre geduldig warten, es sei denn die Herkunftsfamilie hat inzwischen selbst eine erfolgreiche Therapie durchlaufen. […] Quelle: https://www.agsp.de/html/r16.html

Dass der Körper ein eigenes Gedächtnis hat zeigt sich meiner Meinung auch gut an den erheblich geminderten Bildungschanchen der Pflegekinder (ebenfalls nachzulesen im DJI Link oben), die bei Pflegekindern, die in einer Pflegefamlie aufwachsen aber immer noch deutlich besser als bei Heimkindern sind.

 

MANFRED JANNICKE – 28. Oktober 2016

Stimme bis Lambeck … zu.
Aber dann:
Wenn den Kindern bis zum „Zeitpunkt der Pubertät“ (die nicht zu einem genau benennbaren Punkt eintritt) der Kontakt zu ihrer Herkunftsfamilie verwehrt / nicht zugemutet wird / sie dazu nicht ermutigt werden, dann ist er doch oft abgerissen!

Und Ihr vorletzter Absatz, Herr Poppe, drückt genau die Haltung aus, die ich kritisiere: die Pflegekindern scheinen ausnahmslos „seelisch und hirnorganisch verletzt“, ihre Herkunftsfamilien samt und sonders „traumatisierend“. Das ist sicher in einigen schlimmen Fällen so und in denen muß man trennend eingreifen, davon aber grundsätzlich auszugehen ist weder besonders ressourcenorientiert oder weltermutigend, noch realistisch, noch besonders respektvoll was den Blick auf diese Kinder betrifft!

Das ist genau die Haltung, die sich nur mit dem ausschließlich schwachen, schutzbedürftigen Kind verbündet, seine anderen Qualitäten leugnet und es vor der Welt, damit aber auch vor seinem eigenen Welteroberungsbedürfnis vorauseilend bewahrt.

Wem dient das zuerst? Der erwachsenen, pflegenden Person, die mit ihrer selbstgewählten Aufgabe stark identifiziert ist und sich damit aufwertet. Es wird nämlich sakrosankt, sie für diese Art hingebungsvoller Betreuung und Fürsorge zu hinterfragen oder kritisieren.

 

FRANK POPPE – 28. Oktober 2016

Sehr geehrter Herr Jannicke,

bei der Lösung von Problemen helfen Vorurteile nicht weiter. Man sollte sich an Fakten orientieren. Und wenn diese nicht vorliegen in neuen Studien und Untersuchungen danach forschen. Anhand den vorliegenden Zahlen ist es aber mitnichten so, dass es nur „einige schlimme Fälle“ gibt, wie Sie behaupten.

Polizeiliche Kriminalstatistik 2015 – Nur die Spitze des Eisbergs – Aktuelle Zahlen und Daten sowie wichtige Hintergrundinformationen Ihrer Polizei
(https://www.polizei-beratung.de/themen-und-tipps/gewalt/kindesmisshandlung/fakten.html)

[…] Ein hoher Anteil von Kindern und Jugendlichen hat vor der Unterbringung in einer Pflegestelle angstbesetzte Situationen wie z. B. körperliche und/oder emotionale Misshandlung, sexuellen Missbrauch oder Vernachlässigung erlebt. In vielen Fällen kommen Beziehungsabbrüche und Bezugspersonenwechsel hinzu. […] (Quelle: https://www.uniklinik-ulm.de/fileadmin/Kliniken/Kinder_Jugendpsychiatrie/praxismanual/Praxismanual_Stand_Juni2011_Anhang_VII.pdf)

Oder auch hier ein eingereichter Artikel mit Zahlen für die Fachzeitschrift Trauma und Gewalt: https://d-nb.info/1016591799/34

Pflegekinder, Adoptivkinder und Heimkinder in der Kinder und Jugendpsychiatrie: […] Dennoch sind viele Pflegekinder psychisch hoch belastet. Die Grafik der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Basel zeigt, dass die psychische Belastung von Pflegekindern, gemessen mit der Child behavior Checklist (CBCL) circa in 65 % der Fälle im auffälligen Bereich, und in über 30 % im hoch auffälligen Bereich liegt. Bei Heimkindern liegen die Ergebnisse noch etwas höher. […] (Quelle: https://www.lwl.org/psychiatrie-marsberg-download/PDF/Burchard-pdf.pdf)

D.h. man muss nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass etwas schlimmes passiert ist, aber man muss genau schauen, was passiert ist!

Eine Dogmatisierung FÜR oder WIDER Umgangskontakte kann nur falsch sein. Frau Wiemann hat gute Grundregeln für die Gestaltung von Kontakten zwischen Pflegekind und Herkunftsfamilie erarbeitet. (http;//www.irmelawiemann.de/dl/dl.pdfa?download=Kontakte-Pflegekinder-Angehoerige-Wiemann-Satz.pdf)

Nur scheitert diese in der Praxis schon alleine daran, dass es eben aufwendig ist den Einzelfall zu beurteilen und individuelle Lösungen zu finden. Zumal das wichtigste Detail, die Perspektive, gar nicht geklärt bzw. eben offen gehalten werden soll. Praktischer ist da der regelmäßige Kontakt alle 2, 4 Wochen und die grundsätzliche Annahme, dass der Kontakt dem Wohl des Kinds dient. Gibt es dann Probleme bei den Umgängen sind die Pflegeeltern „schuld“ – der Klassiker eben (ihre Vorurteile gegenüber Pflegeeltern haben sie ja schön dargelegt).

Interessant ist das reflexhafte Verhalten von Sozialarbeitern etc. wenn man im Rahmen dieses Themas leibliche Eltern als „traumatisierend“ bezeichnet. Das ist genau die Haltung, die sich nur mit den ausschließlich schwachen, schutzbedürftigen leiblichen Eltern verbündet. Wem dient das zuerst? Der betreuenden Person im Jugendamt, die sich mit ihrer selbstgewählten Aufgabe stark identifiziert und sich damit aufwertet. Es wird nämlich sakrosankt, sie für diese Art hingebungsvoller Betreuung und Fürsorge zu hinterfragen oder kritisieren.

 

DIJUF – 27. September 2016

Anfrage eines Jugendamts: Ist es tatsächlich vorgesehen, dass Erziehungsstellen zu Lasten oder zu Gunsten ( je nach Auge des Betrachters ) von Pflegestellen abgelöst werden sollen?

Antwort des DIJuF: In § 45a SGB VIII-E soll der Einrichtungsbegriff definiert werden. Danach sind Erziehungsstellen, die bislang unter § 34 SGB VIII gefasst waren, eindeutig nicht mehr erfasst. Das heißt, eine Betriebserlaubnis wird nicht mehr erteilt. Im weiteren ergibt sich daraus aber auch, dass es sich bei Erziehungsstellen nicht um stationäre Einrichtungen handelt und deshalb auch keine Leistungs- und Entgeltvereinbarungen nach §§ 78a ff SGB VIII (zukünftig §§ 78 ff SGB VIII-E) zu schließen sind. Pflegestellen sollen ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich ausgenommen sein (§ 78a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII-E). Statt mit einem Träger (§ 78e Abs. 1 SGB VIII) werden Erziehungsstellenträger daher Vereinbarungen mit allen belegenden Jugendämtern abzuschließen haben.

 

MANFRED JANNICK – 28. Oktober 2016

Aber das wäre ja eine Katastrophe (außer für die Sparfüchse, denen egal ist, was mit den Kindern geschieht). Denn die Erziehungsstellen gewährleisten ja professionelles und oft sehr aufwändig begleitetes Personal, wohingegen es doch sehr viele Pflegestellen gibt, die mit einer komplexen und hochstrittigen Lage in der Ursprungsfamilie deutlich überfordert sind- mit den bekannten negativen Folgen für die Chancen der Kinder auf Kontakterhalt zu den Personen, mit denen sie ihr Leben lang und nicht nur vorübergehend in Verbindung sind.

 

REINHARDT SCHMIDT – 19. September 2016

Es ist ein guter Schritt, dass im SGB VIII nun eine Perspektivklärung und damit eine Unterscheidung in Bereitschafts- und Dauerpflege für Pflegeverhältnisse aufgenommen wurde. In vielen Pflegeverhältnissen gibt es diese Perspektive überhaupt nicht und es werden alle Beteiligten (Pflegefamilie, Herkunftseltern und Kind) über Jahre im Unklaren gelassen. Oder es werden Experimente gewagt, das Kind rückzuführen und erneut herausnehmen zu müssen. Es ist zu hoffen, dass dann die Wichtigkeit der Kontinuität für Pflegekinder auch Eingang ins BGB findet. Denn ohne juristische Absicherung arbeiten Familiengerichte oft nicht mit der Jugendhilfe Hand in Hand. Häufig fehlt bei Gutachtern und Juristen die spezifische Kenntnis für Pflegekinder und sie gehen in der Fülle der Scheidungsfälle unter und werden gleich behandelt. Der Grund, warum ein Kind zum Pflegekind wurde, ist schnell vergessen. Und wenn ein Kind in einer Pflegefamilie „Fuß gefasst“ hat und die Wunden langsam heilen, nimmt man es nur zu gerne als Argument, dass man dem Kind schon etwas zumuten kann. Ein weites Feld ist hier auch das Thema „Umgänge/Besuchskontakte“, bei denen es keine eigene Regelung für Pflegekinder gibt. Es wird wie bei Scheidungskindern grundsätzlich von einer Dienlichkeit der Umgänge ausgegangen. Dabei vergisst man, was Kinder durch ihre Herkunftsfamilien erlebt haben und welche Traumatisierungen sie mit sich tragen. Es wäre wichtig, die Hilfen und Gesetze einmal vom Kind aus zu denken, damit ihnen Schutz geboten wird und nicht als Adressaten der Hilfe nur die leiblichen Eltern zu sehen. Anfänge sind gemacht, damit Pflegekinder nicht wie ein Auto behandelt werden, das in der „Werkstatt Pflegefamilie“ repariert wird und dann wieder zum Besitzer zurückkehrt. Dieser Vergleich stammt übrigens von einem Jugendamtsmitarbeiter, der damit den Sinn der Pflegefamilie erklären wollte.

 

BAUR – 15. September 2016

ich habe das gleiche Problem wie viele andere. Es ist unmenschlich, was von Pflegeeltern erwartet wird. Mit 8 Wochen kam das kleinste Pflegekind zu mir. Sie wird jetzt 6 Jahre alt und soll nun zurück. Das JA befürwortet dies und ich soll es gefälligst akzeptieren. Gute Pflegeeltern tun das – Aussage eines JA Mitarbeiters.

Denn die Herkunftsfamilie ist wichtiger als die Bindung die das Kind an seine Pflegemutter hat.

 

WIEDEMANN WALDEMAR – 12. September 2016

Als Pflegekinderfachdienst, der seit 15 Jahren diese Arbeit macht, stelle ich fest, dass Gerichte, Verfahrenspfleger und Gutachter auch bei längeren Pflegeverhältnissen die Rückkehr des Kindes zu seiner Herkunftsfamilie befürworten und die eingegangenen Bindungen des Kindes und Gefährdungen bei einem Wechsel als tolerabel einschätzen. Diese Entwicklung nimmt bedauerlicherweise eher zu in den letzten Jahren, vielleicht auch weil immer mehr Eltern ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen suchen und Anwälte finden , die ihre Interessen mit allen Mitteln vertreten. Dagegen steht das Recht des Kindes auf sehr schwachen Füßen. Solange das Elternrecht dominiert und Kinderrechte im Zivilrecht nicht den gleichen Stellenwert haben , sind wir als Mitarbeiter des Jugendamtes in einer sehr schwachen Position. Manche Mitarbeiter resignieren angesichts solcher Erfahrungen. Manche Ämter machen sich die Rechtsauffassung der Gerichte zu eigen. Die Folgen solcher Entscheidungen ohne Berücksichtigung der Bedürfnisse des Kindes sind für die Betroffenen Kinder häufig gravierend und in vielen Fällen irreversibel.

 

FRANK POPPE – 8. September 2016

Aus unserer Erfahrung kann ich den Ausführunge von Herrn Voss voll und ganz zustimmen. Es gibt (leider zu wenige) Jugendämter, die Pflegeeltern nach einigen Jahren Pflegschaften/Vormundschaften übertragen und somit auch eine Aussage über die Perspektive/Verbleib geben. Und es gibt andere Jugendämter (eigene Erfahrung), die ihre Arbeit genau darin sehen, möglichst keine Perspektve (den Verbleib) zu klären, um eine (viel) spätere Rückführung offen zu halten. Diese Jugendämter werden aus grundsätzlichen Erwägungen keine Vormundschaften/Pflegschaften an Pflegeeltern abgeben und alles tun um eine weitere Integration in die Pflegefamilie (Namensänderung, viele Besuchskontakte etc.) zu verhindern.

Die im Hilfeplan geforderte Perspektivklärung und Feststellung der auf Dauer angelegten Lebensform steht im Widerspruch zum Befristungsdogma.

Das Jugendamt kann auch nach 10 Jahren immer noch zu dem Ergebnis kommen, dass die Perspektive nicht geklärt ist. Oder es kann durch neue Umstände im neuen Hilfeplan die Perspektive wieder geändert werden. Ggf. ist ja durch Intensivierung der Besuchskontakte jetzt doch noch eine Rückführung möglich…?

Jugendämter, die aktuell bei der Herausnahme von Babys nach 6 Jahren (eigene Erfahrung) oder mehr (Bekannte, 10 Jahre) auf Rückführung hin arbeiten, werden ihre Arbeitsweise nicht ändern, so lange sie nicht nach einer bestimmten Zeit zur Klärung der Perspektve gezwungen werden.

Wird im Hilfeplan eine Perspektivklärung vorgenommen und eine auf Dauere angelegte Lebensform festgestellt, muss das parallel auch Auswirkungen auf die Rechtssituation der Pflegeeltern haben. Sonst wäre das keine wirkliche Absicherung.

Die Inkongruenz zwischen der Rechtslage in Deutschland, die auch die auf Dauer angelegte Vollzeitpflege als eine befristete Lebensform konzipiert („Befristungsdogma“), und den für langandauernde Pflegekindverhältnisse wünschenswerten rechtlichen Absicherungen führt zu Verunsicherungen und Konflikten bei allen Beteiligten, die insbesondere für die betroffenen Kinder und Jugendlichen sehr belastend sind. Dies gilt umso mehr, als diese Kinder in aller Regel aus problembelasteten Herkunftsfamilien kommen, also Vorbelastungen aufweisen, die sie in besonderer Weise vulnerabel machen. Bindungsverluste, Beziehungsabbrüche und mehrfache Wechsel der Hilfeformen sind mit Blick auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen sowie ihre seelische Gesundheit hochproblematisch, wie die psychologische und sozialwissenschaftliche Forschung überzeugend nachgewiesen hat. (Quelle: https://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung2/Pdf-Anlagen/gutachten-pflegefamilien-beirat,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf)

 

VOSS STEFAN – 6. September 2016

Zivilrechtliche Absicherung fehlt!
Die bislang geplanten Änderungen zur Stärkung von Pflegekindern und ihren Familien (ausdrückliches Ziel laut Gesetzesbegründung auf Seite 16) sind leider wertlos, solange die in der Kinder- und Jugendhilfe vorgesehenen Verbesserungen der Kontinuitätssicherung in § 36e SGB VIII nicht auch zivilrechtlich abgesichert werden. Denn zivilrechtlich wird eine Rückkehroption nach geltendem Recht zeitlich unbefristet offen gehalten (sog. Befristungsdogma)! Die Verbleibensanordnung gem. § 1632 Abs. 4 BGB schafft leider keine dauerhafte Rechtssicherheit für die Pflegefamilie.

Vorschläge zu einer entsprechenden Änderung/Ergänzung des BGB hierzu wurden im Dialogforum im Rahmen der Evaluation des Kinderschutzgesetzes und der Bund-Länder Arbeitsgruppe unterbreitet. Am 13.06.2016 hat auch der wissenschaftliche Beirat beim BMFSFJ in einem Gutachten (https://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/volltextsuche,did=225870.html) die Problematik auf Seiten 25 bis 34 ausführlich erläutert und ebenfalls empfohlen, Dauerpflegeverhältnisse zivilrechtlich abzusichern. Diese Empfehlungen sollten unbedingt umgesetzt werden.

Aus eigener leidvoller Erfahrung als Pflegeeltern mussten wir und einige Bekannte feststellen, dass Familienrichter(innen), Sachverständige, Rechtsanwälte, Jugendamtsmitarbeiterinnen (insbesondere vom allgemeinen sozialen Dienst) gerade der Frage der Kontinuität des Aufenthalts bei den neuen Bindungspersonen unterschätzen und zum Teil behaupten, dass den Pflegekindern eine Rückführung zur Herkunftsfamilie auch bei länger andauernden Pflegeverhältnissen (Dauerpflege, nicht Bereitschaftspflege!) trotz der zu erwartenden seelischen Belastungen angesichts des überragenden Elternrechts zuzumuten sei. Die Frage der Bindungsentwicklung (gerade bei Säuglingen und Kleinkindern) wird z.T. haarsträubend stiefmütterlich behandelt. Es wird allen Ernstes argumentiert, dass Kleinkinder bis 3 Jahre noch kein Erinnerungsvermögen haben und daher problemlos zurückgeführt werden können. Auch die Wertungen des SGB VIII und der UN-Kinderrechtskonvention werden in der Praxis kaum beachtet, sondern von einigen Einzelfallentscheidungen des BVerfG aus den letzten zwei Jahren überlagert, die vermeintlich dem Elternrecht einen Vorrang vor dem Kindeswohl zugestehen. Die Unsicherheit der Pflegeeltern, dem Pflegekind keinen dauerhaften Schutz und Aufenthalt bieten zu können (ständige Drohung der Rückkehroption), spürt das Kind ganz genau. Dies führt regelmäßig zu seiner eigenen Verunsicherung und Verlustängsten mit den damit verbundenen Entwicklungsverzögerungen. Die Umgangskontakte mit den Herkunftseltern werden dadurch schwer belastet und den Pflegeeltern wird dann vorgeworfen, sie würden das Kind indoktrinieren oder verunsichern.

Wie viele Pflegeeltern hoffe ich sehr, dass dieser Aspekt im Gesetzgebungsverfahren aufgegriffen und im Sinne der Verwirklichung des gesetzgeberischen Ziels einer frühzeitigen Perspektivklärung auch eine zivilrechtliche Absicherung erfahren wird.

 

HARDER AGNES – 31. August 2016
Ich bin keine Juristin, aber als Pflegemutter fehlt mir in den Gestzesbegründungen das entscheidende Wort „Bindung“
Erst durch eine sichere Bindung ist ENTWICKLUNG möglich.

 

«  Zurück zum Archiv-Überblick